Rheinfelder Grünen-Urgestein Heiner Lohmann: "Ich stehe hart an der Grenze zum Parteiaustritt"
Badische Zeitung, Stefan Ammann, 20.07.2024
Nach mehr als vier Jahrzehnten endet der politische Weg von Heiner Lohmann. Vor den Kommunalwahlen kam es zum Bruch mit dem Grünen-Ortsverband.
Heiner Lohmann wird dem neuen Gemeinderat und Kreistag nicht mehr angehören. Nach mehr als vier Jahrzehnten endet der politische Weg des Grünen-Urgesteins. Mit der Aufklärung des Rheinfelder Dioxinskandals wurde er in den 1980er-Jahren weit über die Stadtgrenzen bekannt. Im Wahljahr 2024 kam es zum öffentlichen Streit bei den Rheinfelder Grünen. Die Mitglieder des Ortsverbandes nominierten ihn und seine Fraktion nicht mehr. Er trat mit der neugegründeten Grünen Alternative Rheinfelden trotzdem nochmal bei den Kommunalwahlen an. Jedoch gelang lediglich seiner Frau Anette Lohmann der erneute Sprung in den Gemeinderat. Im Interview erzählt Heiner Lohmann, warum er nun über einen Parteiaustritt nachdenkt.
BZ: Herr Lohmann, wie geht es Ihnen einen Monat nach den Kommunalwahlen?
Lohmann: Die Bürgerinnen und Bürger haben mich abgewählt. Das hat mich stark emotional getroffen, weil ich nicht damit gerechnet habe. Es ist aber auch eine Erleichterung, weil ich mich jetzt wieder meiner Forschung als Evolutionsbiologe zuwenden kann. Dem will ich mich nun mit aller Kraft widmen und die Politik völlig hinter mir lassen.
BZ: Warum wollten Sie es bei den Kommunalwahlen nochmal wissen?
Lohmann: Alle drei Fraktionsmitglieder wollten nach der Wahl nur noch zweieinhalb Jahre weitermachen. Das haben wir vor der Wahl intern so beschlossen. Dann sind wir aber bei der Nominierungsversammlung regelrecht rausgeschmissen worden. Das war reine Machtpolitik. Wir haben uns überhaupt nichts zuschulden kommen lassen und grüne Werte eingehalten.
BZ: Haben Sie den richtigen Zeitpunkt für den Rückzug verpasst?
Lohmann: Der Ortsverbandsvorsitzende Stephan Bohusch ist regelmäßig zu unseren Fraktionssitzungen gekommen. Wir hatten da den Eindruck, dass alles bezüglich des Ortsverbandes harmonisch war. Einige Mitglieder des Ortsverbandes haben neue Mitglieder mit unwahren Geschichten über uns beeinflusst und mit der Sören-Fraktion einen Schatten-Ortsverband aufgebaut. Ein Teil des Ortsverbandes wurde zu konspirativen, gegen die Satzung verstoßende Sitzungen eingeladen und hat offenbar den Plan aufgestellt, uns rauszubefördern, weil man an unsere drei Mandate wollte. Auf diese Weise wollten wir aber nicht gegangen werden. Als einzige Chance blieb uns dann, eine eigene Liste aufzustellen. Hätte der Ortsverband uns nochmal gemeinsam aufgestellt, hätten wir eine volle Liste mit 32 Kandidatinnen und Kandidaten gehabt, gemeinsam mehr Mandate geholt und damit ein gutes Gegengewicht zur AfD stellen können.
BZ: Gibt es einen Weg für Sie zurück zum Grünen-Ortsverband?
Lohmann: Es gibt keinen Weg zurück für mich. Wir sind vom Ortsverband und auch vom Kreisverband zu sehr ausgegrenzt und mit Schmutz beworfen worden. Ich stehe hart an der Grenze zum Parteiaustritt. Das fällt mir als längstem Parteimitglied im Landkreis nicht leicht. Schlimm ist für mich, dass dies alles hinter unserem Rücken passiert ist.
BZ: Haben Sie selbst Fehler gemacht, dass es so weit kommen konnte? Oder anders gefragt: Was würden Sie heute anders machen?
Lohmann: Im Jahr 2021 hat die Spaltung der Grünen-Gemeinderatsfraktion mit dem Austritt von Alexander Strehmel begonnen. Er hatte, ohne die Fraktion zu informieren, einen Kompromissvorschlag an die SPD zur Erhöhung der Kita-Gebühren geschickt. Das musste ich als Fraktionsvorsitzender kritisieren. Meine Kritik war aber offensichtlich für ihn zu scharf formuliert. Wenn ich gewusst hätte, wie er darauf reagiert, hätte ich das anders formuliert. Möglicherweise wäre es dann nicht zu seinem Austritt und in der Folge zu der ganzen Kaskade von Austritten gekommen.
BZ: Gehen wir ganz an den Anfang Ihrer politischen Karriere zurück. Warum sind Sie vor mehr als 40 Jahren bei den Grünen eingetreten?
Lohmann: Meine Frau hat den Anstoß gegeben. Als ich wieder Mal vor dem Fernseher saß und über umweltpolitische Dinge geschimpft habe, hat sie gesagt: „Warum schimpfst du. Tritt doch lieber den Grünen bei!“ Wir sind dann in die ersten Versammlungen, die Ilsemie Dumont und ihr Mann bei sich zu Hause initiiert hatten, und haben mitgeholfen, mit Dieter Nestle den Lörracher Kreisverband und die Ortsverbände aufzubauen. Das waren die Initialzündungen.
BZ: Hatten Sie ein politisches Vorbild? Eine Person, die Sie inspiriert hat?
Lohmann: Ich habe während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag viele Menschen kennengelernt, die ich sehr geschätzt habe: Seit 1982 war es im Landtag Winfried Kretschmann, dann im Bundestag vor allem Joschka Fischer, Gerhard Schröder, Otto Schily und natürlich mein Abgeordneter Wolfgang Ehmke. Vor allem zu Winfried Kretschmann und Otto Schily hatte ich auch persönlich einen sehr guten Draht. Jutta Ditfurth habe ich nicht so sehr geschätzt. Diese Fundamentalpolitik war nicht meine Sache.
BZ: Sie gehörten also zu den grünen Realos?
Lohmann: Wolfgang Ehmke und ich haben uns als Ökoflügel zwischen den Realos und Fundis positioniert. Ich habe damals den Begriff der ökosozialen Politik mitgeformt. Wir wollten eine Verknüpfung beider Komponenten.
„Der Skandal bestand darin, dass diese gewaltige Gesundheitsgefährdung von der Dynamit Nobel so lange wider besseres Wissen verleugnet wurde.“
BZ: Ab 1981 deckten Sie den Reinfelder Dioxin-Skandal auf. Worum ging es dabei?
Lohmann: Das Pentachlorphenol, das die Dynamit Nobel in Rheinfelden verarbeitet hat, war in hohem Maße mit Dioxin verseucht. Der Skandal bestand darin, dass diese gewaltige Gesundheitsgefährdung von der Dynamit Nobel so lange wider besseres Wissen verleugnet wurde. Der Skandal lag auch bei der Verwaltung – insbesondere dem Gewerbeaufsichtsamt. Ich hatte das Glück, dass ich in der Spitze des Regierungspräsidiums einen Whistleblower hatte.
BZ: Sie wurden damals heftig angegriffen unter anderem vom Betriebsrat der Dynamit Nobel, aber auch aus anderen Gemeinderatsfraktionen…
Lohmann: Ich wurde sogar aus der eigenen Partei von meiner Stadtratskollegin Ilsemie Dumont angegriffen. Mal hat sie meine Argumente mitgetragen, dann hat sie sich von Personen der Dynamit Nobel umdrehen lassen. Aber hinter mir stand die starke grenzüberschreitende „Bürgerinitiative Umwelt Rheinfelden“ mit über 300 Mitgliedern.
BZ: Was hat Sie bewogen, trotzdem an dem Thema dranzubleiben?
Lohmann: Die Gewissheit, dass dieser Stoff einer der gefährlichsten ist, der in Deutschland hergestellt wurde. Später hat die CDU-Fraktion im Bundestag den Antrag auf ein PCP-Totalverbot gestellt. Ich hatte vorher den CDU-Abgeordneten Bernd Schmidbauer informiert. Hätten die Grünen den Antrag gestellt, wäre er abgelehnt worden.
BZ: Was sind die Lehren aus dem Rheinfelder Dioxin-Skandal?
Lohmann: Man darf nie aufhören, achtsam zu sein. Beispielsweise werden Textilien aus China immer noch mit PCP-haltigen Chemikalien behandelt, obwohl das verboten ist. Die Gesetzgebung ist nicht so ausgereift, dass wir die Hände in den Schoß legen können. Die Industrie hat sich arrangiert. Sie nimmt inzwischen viel größeren Einfluss auf die Gesetzgebung. Wenn es beispielsweise bei der EU um die Schadstoffbelastung in Spielzeugen geht, hat die Industrie ein Mitspracherecht und verwässert die Grenzwerte.
BZ: Was ist zukünftig die größte Herausforderung für die politischen Entscheidungsträger in der Stadt und im Landkreis?
Lohmann: Die Folgen des Klimawandels. Dort gibt es einen Abnutzungseffekt durch neue Probleme wie den Krieg in der Ukraine oder in Nahost. Dadurch verliert das Thema in der Lokalpolitik an Stellenwert. Ich habe sowohl im Kreistag wie auch im Gemeinderat die Anträge zur Klimaneutralität eingebracht. Im Kreis läuft das inzwischen fast vorbildlich. In Rheinfelden holpert es noch. Aber dagegen stehen natürlich auch die knappen Finanzmittel.
BZ: Was werden Sie in Rheinfelden als politisches Erbe hinterlassen?
Lohmann: Ich habe beim Naturschutz eine ganze Menge Bleibendes angestoßen wie die Schaffung des Naturschutzgebietes Weberalten. Von den vielen Anträgen, die ich im Gemeinderat gestellt habe, sind fast alle angenommen worden. Wir waren ja die antragsfreudigste Fraktion. Das wird sich jetzt wohl ändern.
BZ: Und nun wollen Sie sich also ganz der wissenschaftlichen Forschung widmen?
Lohmann: Die Forschung habe ich nie ganz an den Nagel gehängt, aber ich hatte kaum mehr Zeit zu publizieren. Seit einiger Zeit arbeite ich an einer Schrift zur Evolution der Libellen. Die will ich nun fertigstellen und im September dazu einen Vortrag an der Freien Universität in Berlin halten. Danach gibt es aber auch noch ein anderes Projekt: Ich habe Ende der 80er-Jahre festgestellt, dass es vor der genetischen Evolution noch eine andere Evolution gegeben haben muss, die ich semetische Evolution nenne. Dazu habe ich ein hypothetisches Molekül vorhergesagt, das den Anfang des Lebens darstellt. In dem ursprünglichen Einzeller Nanoarchaeum, der in schwarzen Rauchern auf dem Meeresboden vor Island entdeckt wurde, habe ich dieses Molekül tatsächlich gefunden. Das werde ich nun ebenfalls publizieren.
Heiner Lohmann (78) ist in Bremen geboren und in Wilhelmshaven und Osnabrück aufgewachsen. Ab 1968 studierte er Biologie in Freiburg. 1977 zog er mit seiner Frau nach Rheinfelden. 1980 nahm er am Gründungsparteitag der Grünen in Karlsruhe teil. Im gleichen Jahr wurde er erstmals in den Rheinfelder Gemeinderat gewählt. Seit 1994 gehörte er dem Gremium durchgängig an. Ebenso war er viele Jahre lang Mitglied des Lörracher Kreistags und des Regionalverbands Hochrhein-Bodensee. Lohmann war von 1984 bis 1990 als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Grünen Bundestagsfraktion für Umweltfragen zuständig. Er hat auch selbst dreimal für den Bundestag kandidiert.